Neurodivergente Menschen machen schätzungsweise 15–20 % der Weltbevölkerung aus, was bedeutet, dass sie in fast jedem Arbeitsplatz vertreten sind — ob du dir dessen bewusst bist oder nicht. Trotzdem wird von so vielen erwartet, dass sie sich an Systeme anpassen, die nicht berücksichtigen, wie sie Informationen verarbeiten, kommunizieren oder gedeihen. Wenn wir Teams aufbauen wollen, die wirklich inklusiv sind, muss Neurodiversität Teil der Diskussion sein.
Dieses Thema liegt mir sehr am Herzen, und im Mai hatte ich die Gelegenheit, bei der DevConf ZA 2025 in Johannesburg und Kapstadt zu sprechen. Mein Vortrag hieß „Bridging the Gap: Collaborating with Neurodivergent Colleagues“ („Die Lücke überbrücken: Zusammenarbeit mit neurodivergenten Kolleg*innen“), und ehrlich gesagt, die Reaktionen haben mich überwältigt. Der Raum war voller Neugier und Mitgefühl. Die Leute haben nicht nur genickt; sie haben Fragen gestellt, persönliche Geschichten geteilt und sich wirklich eingebracht. Was als Vortrag begann, verwandelte sich in einen laufenden Dialog, der auch auf den Fluren lange nach der Session weiterging.
Dieser Blogpost ist eine Reflexion der wichtigsten Ideen aus diesem Vortrag: Was Neurodiversität wirklich bedeutet, warum sie wichtig ist und wie wir alle besser darin werden können, unsere neurodivergenten Teammitglieder zu unterstützen. Denn am Ende funktioniert Inklusion nicht, wenn sie nicht für alle gilt.

Was ist Neurodiversität?
Neurodiversität bezieht sich auf die natürlichen Unterschiede darin, wie menschliche Gehirne verdrahtet sind. Dazu gehören Zustände wie ADHS, Autismus-Spektrum-Störung, Dyslexie, Dyspraxie, Zwangsstörungen (OCD), Tourette-Syndrom und andere. Das sind keine Mängel oder Defizite, sondern Variationen in der kognitiven Funktionsweise.
Wie oben erwähnt, sind schätzungsweise 15–20 % der Weltbevölkerung neurodivergent. Das bedeutet, dass in fast jedem Arbeitsplatz bereits neurodivergente Menschen vertreten sind, und doch fühlen sich nur 37 % von ihnen von ihrem Unternehmen in irgendeiner Weise unterstützt oder anerkannt. Diese Lücke zeigt, wie traditionelle Systeme oft daran scheitern, unterschiedliche kognitive Stile zu berücksichtigen.
Mit zunehmendem Bewusstsein für Neurodiversität wächst auch das Verständnis, dass wir über ein defizitorientiertes Modell hinausgehen müssen, in dem neurodivergente Menschen als „weniger wert“ oder „kaputt“ angesehen werden. Anstatt zu fragen, wie man sie „reparieren“ kann, sollten wir uns fragen, wie man Arbeitsplätze gestalten kann, die verschiedene Denk- und Arbeitsweisen unterstützen und feiern.
Es ist wichtig zu erkennen, dass Neurodivergenz oft unsichtbar ist. Viele deiner Kolleginnen könnten neurodivergent sein, ohne dass du es weißt. Tatsächlich fand eine aktuelle Studie heraus, dass bis zu 31 % der neurodivergenten Mitarbeiterinnen sich nicht wohl dabei fühlen, ihren Status offenzulegen, selbst gegenüber ihren Vorgesetzten. Deshalb sollten inklusive Praktiken nicht von Offenlegung abhängig sein, sondern standardmäßig in die Unternehmenskultur integriert werden, um sicherzustellen, dass alle Denkweisen unterstützt werden.
Die Stärken, die neurodivergente Menschen mitbringen
Neurodivergente Menschen erleben die Welt oft anders, und aus diesen Unterschieden ergeben sich wertvolle Stärken. Auch wenn jede Person einzigartig ist, gehören zu den häufigsten Merkmalen:
- Hyperfokus: Intensive Konzentration auf Aufgaben, die großes Interesse wecken, oft verbunden mit qualitativ hochwertiger, detailreicher Arbeit
- Kreatives Problemlösen: Viele neurodivergente Menschen nähern sich Problemen auf unkonventionelle Weise und bieten innovative Lösungen an, die andere vielleicht nicht in Betracht ziehen
- Mustererkennung: Die Fähigkeit, schnell Verbindungen, Trends oder Ineffizienzen zu erkennen, besonders häufig bei autistischen oder ADHS-betroffenen Personen
- Emotionale Intelligenz: Besonders stark bei denen, die gelernt haben, komplexe soziale Umgebungen zu navigieren
- Resilienz: Ein Leben voller Anpassung an Systeme, die einen nicht berücksichtigen, baut oft Selbstvertretung und innere Stärke auf
Wenn neurodivergente Menschen richtig unterstützt werden, können sie in Rollen, die ihren Stärken entsprechen, aufblühen. Tatsächlich haben Berichte gezeigt, dass neurodiverse Teams um 30 % produktiver sind, wenn sie strukturierte Unterstützung und Flexibilität erhalten. Diese Stärken führen oft zu besseren Produkten, inklusiveren Teams und leistungsfähigeren Unternehmen.
Die Herausforderungen, denen neurodivergente Mitarbeiter*innen begegnen
Trotz dieser Stärken stehen neurodivergente Menschen oft vor Barrieren am Arbeitsplatz. Diese Herausforderungen sind keine persönlichen Schwächen, sondern das Ergebnis von Arbeitsumgebungen, die nicht für kognitive Vielfalt konzipiert wurden.
1. Sensorische Überlastung
Großraumbüros, laute Umgebungen, grelles Licht oder starke Gerüche können für Menschen mit sensorischen Empfindlichkeiten überwältigend sein. Selbst digitale Reize wie zu viele Slack-Nachrichten oder ständige Video-Calls können anstrengend sein.
2. Exekutive Dysfunktion
Dies kann Planung, Zeitmanagement, Aufgabenstart oder Organisation beeinträchtigen. Es ist keine Faulheit, sondern eine neurologische Schwierigkeit, von der Absicht zur Handlung zu wechseln, oft verstärkt durch Stress oder unklare Erwartungen.
3. Kommunikationslücken
Neurodivergente Menschen interpretieren Kommunikation möglicherweise anders oder bevorzugen schriftliche statt mündlicher Formate. Was wie mangelndes Engagement wirkt, könnte einfach ein anderer Verarbeitungs- oder Antwortstil sein.
4. Maskieren und Burnout
Um dazuzugehören, unterdrücken viele neurodivergente Mitarbeiter*innen Merkmale wie Stimming oder vermeiden natürliche Verhaltensweisen, um sich anzupassen. Dieser ständige Versuch, „normal“ zu wirken, ist anstrengend und führt oft zu Burnout.
5. Stigma und Missverständnisse
Eine Studie aus 2024 ergab, dass 63 % der neurodivergenten Mitarbeiterinnen ihren Zustand vor Kolleginnen verbergen, aus Angst vor Stigmatisierung. Ohne Offenlegung wird bedeutungsvolle Unterstützung noch schwerer zugänglich.
Inklusion bedeutet nicht nur, Platz zu schaffen, sondern zu erkennen, dass der Raum uns bereits einschließt.
– Samuel ‘Fẹ́mi’ Taiwo
Wie Unternehmen neuroinklusive Arbeitsplätze schaffen können
Die gute Nachricht ist: Du musst nicht alles umkrempeln, um neurodivergente Kolleg*innen zu unterstützen. Kleine, durchdachte Änderungen können einen großen Unterschied machen.
- Flexibilität normalisieren
- Ermögliche flexible Arbeitszeiten und Remote-Work, wenn möglich
- Stelle Aufgabenanweisungen in mehreren Formaten bereit
- Respektiere unterschiedliche Arbeitsstile — manche brauchen Struktur, andere blühen bei Autonomie auf
- Kommunikationspraktiken verbessern
- Verwende klare, direkte Sprache
- Fasse mündliche Anweisungen schriftlich zusammen
- Reduziere unnötige Meetings und fördere asynchrone Kommunikation
- Von Anfang an für Neurodiversität gestalten
- Biete Ruhezonen oder Geräuschunterdrückungsoptionen an
- Erlaube den Menschen, ihren Arbeitsplatz individuell anzupassen
- Fokussiere Feedback auf Stärken und Entwicklung, nicht nur auf Schwächen
- Psychologische Sicherheit schaffen
- Mach es sicher, um Unterstützung oder Anpassungen zu bitten
- Schule Führungskräfte zu Neurodiversität und inklusiver Führung
- Schaffe eine Kultur, in der Menschen keine persönlichen Details offenlegen müssen, nur um Unterstützung zu erhalten
- Auf gelebte Erfahrungen hören
- Glaube Menschen, wenn sie dir sagen, was sie brauchen
- Beziehe neurodivergente Stimmen in die Gestaltung der Unternehmenskultur und -richtlinien ein
Als jemand, der mit AuDHD, OCD und Epilepsie lebt, habe ich sowohl die Erleichterung erlebt, in inklusiven Umgebungen zu arbeiten, als auch die Frustration, mich in Räumen zu bewegen, die nicht für Menschen wie mich gestaltet sind. Dieses Thema ist persönlich für mich, aber es ist auch für viele andere relevant, egal ob sie eine Diagnose haben oder nicht.
Neurodivergente Kolleg*innen müssen nicht „repariert“ werden. Sie müssen verstanden, unterstützt und für das geschätzt werden, was sie sind. Inklusion bedeutet nicht nur, Platz zu schaffen, sondern zu erkennen, dass der Raum uns bereits einschließt.
Wenn Arbeitsplätze Neurodiversität durch Taten annehmen — nicht nur durch Absicht — schaffen wir Teams, die stärker, innovativer und menschlicher sind.
Dieser Vortrag wäre ohne die Unterstützung meines Teams bei Syde nicht möglich gewesen. Ich bin dankbar, mit Menschen zu arbeiten, die Inklusion wirklich wertschätzen und aktiv den offenen Dialog darüber fördern, wie wir jede Art von Denkweise am Arbeitsplatz besser unterstützen können.
Beginne den Dialog in deinem Unternehmen.
Teile diesen Beitrag mit deinem Team und stoße Gespräche darüber an, wie euer Arbeitsplatz inklusiver für alle Denkweisen werden kann. Veränderung beginnt mit Bewusstsein und wächst durch offene, ehrliche Diskussionen.
Vertrauenswürdige Ressourcen zu Neurodiversität
Während das Internet und soziale Medien wertvolle Einblicke bieten können, sind sie auch ein Raum, in dem sich Fehlinformationen schnell verbreiten. Unten findest du einige zuverlässige Anlaufstellen für deine Lernreise:
Neurodiversität (allgemein)
- Neurodiversity Wiki – Eine kollaborative, gut kuratierte Ressource zu verschiedenen neurodivergenten Bedingungen.
- NeuroClastic – Bietet Artikel und persönliche Geschichten von neurodivergenten Autor*innen, mit starkem Fokus auf Advocacy und Bewusstsein.
ADHS
- ADDitude Magazine – Eine umfassende Plattform mit Fachartikeln, Webinaren und praktischen Tools für Menschen jeden Alters mit ADHS.
- CHADD (Children and Adults with Attention-Deficit/Hyperactivity Disorder) – Eine führende Non-Profit-Organisation mit evidenzbasierten Informationen, Selbsthilfegruppen und Advocacy.
- ADHD Foundation – Eine der größten nutzergeführten Organisationen Europas, die Menschen mit ADHS und anderen neurodevelopmentalen Unterschieden wie Autismus, Dyslexie, Dyspraxie, OCD und Tourette unterstützt.
- How to ADHD (YouTube) – Ein beliebter Kanal, bekannt für zugängliche, forschungsbasierte Videos zum Umgang mit ADHS mit Mitgefühl und Humor.
Autism
- Autistic Self Advocacy Network (ASAN) – Eine von Autist*innen geführte Non-Profit-Organisation, die sich für gleiche Rechte und inklusive Politiken einsetzt.
- The National Autistic Society (UK) – Bietet praktische Ratschläge, Toolkits und Advocacy für Einzelpersonen und Familien.
- Autistica – Eine britische Organisation, die sich auf wissenschaftliche Forschung und die Verbesserung langfristiger Ergebnisse für autistische Menschen konzentriert.
Instagram-Accounts, denen es sich lohnt zu folgen
Hier ein paar Instagram-Accounts, die wertvolle Perspektiven und praktische Tipps bieten:
- @adhd_chatter_podcast – Clips und Gespräche aus einem Podcast mit ADHS-Schwerpunkt.
- @adhdvision – Infografiken, Tipps und Aufklärung zum Leben mit ADHS.
- @hidden20podcast – Teilt persönliche Erfahrungen und fördert Bewusstsein aus neurodivergenter Perspektive.
- @adhd_love_ – Ein Paar, das offen darüber spricht, wie es ist, mit ADHS durch Leben und Beziehungen zu navigieren.
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